Mittwoch, 24. November 2010

Prousts Auffassung über die mémoire volontaire und - involontaire

In einem Interview von 1913 erschienen in Le Temps, sagte Proust:

"Mein Werk wird von der Unterscheidung zwischen mémoire volontaire (willkürliche Erinnerung) und mémoire involontaire (unwillkürliche Erinnerung) dominiert. Eine solche Unterscheidung findet sich nicht in der Philosophie von Bergson wieder. Sie läuft ihr sogar entgegen da ihr von Bergsons Philosophie widersprochen wird.

Ich denke, dass die willkürliche Erinnerung, welche eine Erinnerung der Intelligenz und der Augen ist, uns von der Vergangenheit lediglich Gesichter/ Abbilder ohne Wahrheit liefert; wohingegen ein wieder gefundener Duft oder Geschmack unter vollkommen veränderten Bedingungen in uns und trotz unserer selbst die Vergangenheit wieder aufleben lässt. Wir fühlen (instinktiv) wie stark sich diese Vergangenheit von jener unterscheidet, die wir glaubten uns ins Gedächtnis gerufen zu haben, so als hätte unsere willkürliche Erinnerung die Vergangenheit mittels schlecht gewähler Farben gemalt, ohne Wahrheit, sowie die schlechten Maler.
Bereits in diesem ersten Band (hier: Du côté de chez Swann) werden sie die Romanfigur, welche sich mit "ich" bezeichnet jedoch nicht mich meint, dabei beobachten wie sie auf einmal verflossene Jahre, Gärten, vergessene Wesen entdeckt und dies alles während diese einen Schluck Tee zusammen mit einem Stück Madeleine-Gebäck zu sich nimmt.

Sicherlich erinnert der Held sich bereits zuvor an diese Vergangenheit, jedoch ohne ihre Farbe, ohne ihren Zauber. Ich konnte ihn dazu veranlassen zu sagen, dass all jenes was nach und nach Form und Stabilität annahm, Stadt und Gärten, all die Leute aus dem Dorf und ihre kleinen Häuser und die Kirche und ganz Combray - gleich jenem japanischen Spiel bei dem man feine Papierstreifen in eine Porzellanschale mit Wassser taucht, die sich zunächst nicht von einander unterscheiden, aber sich dann mit Wasser vollsaugen und ausdehnen, auseinandergehen, Umriss und Farbe gewinnnen, zu Blumen werden, zu Figuren, zu allen Blumen unseres Gartens und jenen aus dem Park von Swann und die Seerosen auf der Vivonne und all die Leute aus dem Dorf und ihre kleinen Häuser - all dies aus einer Tasse Tee aufstieg. (Vgl. dazu Sabine Kyora: Eine Poetik der Moderne. Zu den Strukturen modernen Erzählens.)


Sehen Sie, der Künstler sollte sich ausschließlich im Bezug auf die unwillkürlichen Erinnerungen den grundelgenden Stoff seines Werkes erarbeiten. Zunächst einmal deshalb, weil dieses sich aus sich selbst bilden. Angezogen durch die Ähnlichkeit einer identischen Minute, haben sie allein das Markenzeichen der Authentizität inne. Und schließlich liefern sie uns die Dinge in einer exakten Dosierung zwischen Erinnerung und Vergessen. "


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